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Channel: Geschlechter – JOCHEN KÖNIG
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Warum so wenige Mädchen Fußball spielen oder das Wissen 8-jähriger Mädchen über Sexismus und Männlichkeit

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Relativ kurzfristig hatte ich von einem Fußballcamp in den Herbstferien erfahren. Montag bis Freitag in der ersten Ferienwoche. Jeweils 10 bis 15 Uhr. In der Turnhalle einer Grundschule in Kreuzberg. Für Mädchen im Alter von 8 bis 12 Jahren. Ich fragte meine Tochter, ob sie daran teilnehmen möchte. Sie war unsicher. Keine ihrer Freundinnen interessiert sich für Fußball. Sie würde dort kein anderes Kind kennen. Wir wägten gemeinsam die Vor- und Nachteile ab, sie entschied sich dafür und das Camp wurde für sie zu einem vollen Erfolg.

Ich betätigte mich in der vergangenen Woche also als Soccer Mom und war einen großen Teil des Tages damit beschäftigt, meine beiden Kinder in unterschiedliche Richtungen der Stadt zu bringen und am Nachmittag wieder abzuholen. Schon vor dem Camp sagte das große Kinder, dass sie sich besonders freue, dass nur Mädchen dort sein werden und sie sich deshalb von keinem Jungen werde anhören müssen, was er vermeintlich alles besser könne.

Im Laufe der Woche kam sie jeden Nachmittag mit neuem Selbstbewusstsein nach Hause. Sie war rundum begeistert und erzählte mit strahlenden Augen von ihren vielen tollen Erlebnissen und von ihren vielen neuen Freundinnen. Bei unseren täglichen Einschlafgesprächen kam sie vor lauter Euphorie kaum zur Ruhe. Und immer wieder drehten sich unsere Gespräche voller Begeisterung darum, dass nur Mädchen und nur Trainerinnen mitspielten und wie wunderbar es sei, dass keine Jungs dabei waren, die ständig angeben. Der Raum nur unter Mädchen und Frauen tat ihr sichtlich gut.

Ich erinnere mich, wie ich vor einiger Zeit auf dem Schulhof ein Fußballspiel beobachten konnte, als ich meine Tochter abholen wollte. Jungs gegen Mädchen, schlug irgendwer vor. Es waren etwa 6 oder 7 Mädchen und 4 oder 5 Jungs. Die Jungs waren sich sicher, trotz Unterzahl gewinnen zu können. Das Spiel war eine Zeit lang ausgeglichen. Nach wenigen Minuten waren die Jungs frustriert, dass sie noch kein Tor geschossen hatten. Als dann ein Tor für die Mädchen fiel, fingen – ungelogen – zwei Jungs an zu weinen, beschwerten sich bei der Erzieherin und verlangten unter Tränen eine neue Aufteilung der Teams. Jungs gegen Mädchen: ok, aber nur, solange die Jungs gewinnen. Ansonsten ist es unfair.

Zurück zum Fußballcamp. Im Rahmen des Camps organisierten die 7 Trainerinnen auch Workshops, in denen unterschiedliche Themen mit den insgesamt etwa 40 Mädchen diskutiert wurden. Am letzten Tag fand ein Turnier statt. Die Eltern waren als Zuschauer_innen eingeladen und die Workshopergebnisse wurden für alle sichtbar ausgehängt. Auf Plakaten hatten die Mädchen unter anderem zusammengetragen, warum aus ihrer Sicht mehr Jungs/Männer Fußball spielen und weniger Mädchen/Frauen.

Weil Frauen mehr Hausarbeit machen, stand auf einem Plakat. Weil Jungs/Männer denken, dass sie cool(er) sind. Weil Jungs/Männer denken, dass sie besser spielen könnten. Weil Männer sagen, dass es nicht zu Frauen passt. Weil Jungs/Männer sagen, dass Mädchen/Frauen kein Fußball spielen können. Meine Tochter erzählte mir mit Blick auf die Plakate, wie sie sich mit ihren neuen Freundinnen im Workshop darüber ausgetauscht habe, dass die Jungs in ihren Schulen ständig angeben, nicht verlieren können und nicht fair spielen.

Mir ist völlig klar, dass sich Räume mit Männern in vielerlei Hinsicht komplett von Räumen ohne Männer unterscheiden. Männlichkeit ist ein solch schräges und gleichzeitig dominantes Konzept in unserer Gesellschaft, dass es kaum zu übersehen ist, sobald Männer in der Nähe sind. Und gleichzeitig wird diese Männlichkeit so sehr als Normalität angenommen und verstanden, dass ihre Auswirkungen oft erst in Situationen ihrer Abwesenheit bewusst auffallen.

Es geht nicht darum, zu sagen, dass es in dieser Gruppe von 40 völlig unterschiedlichen Mädchen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen keine Konflikte gegeben hätte. Es geht auch nicht darum, zu sagen, alle Jungs im Alter zwischen 8 und 12 Jahren seien unfaire Angeber. Es geht darum, dass auch Mädchen im Grundschulalter schon alltägliche Erfahrungen mit Sexismus und problematischen Männlichkeiten machen. Mich hat es in dieser Woche wieder schockiert und sehr bewegt, dass auch schon 8-jährige Mädchen auf diese Art und Weise davon betroffen sind und die Probleme gleichzeitig aber auch schon so klar und bewusst benennen und reflektieren können.

Ich musste auch an einen Post von Journelle von vor etwa einem halben Jahr denken. Sie schrieb über die Erfahrungen ihrer Tochter mit sexistischen Schönheitsidealen in der Grundschule. Der Post schlug (zurecht) hohe Wellen. Überraschend ist nicht, dass es diese Probleme gibt. Erschreckend ist leider immer wieder aufs Neue, wie früh Mädchen davon betroffen sind, darunter leiden und sich anpassen.

Was ist das für eine Welt, in der schon 8-jährige Mädchen so dringend Räume brauchen, in denen sie ohne Jungs und Männer sein dürfen, weil sich schon 8-jährige Jungs darüber definieren (müssen), was sie alles vermeintlich besser können als andere, und ihnen niemand beibringt, mit Niederlagen und mit Scheitern umzugehen? Warum gibt es in den vielen Fußballcamps für Jungs keine Workshops und Reflexionen darüber, warum so wenige Mädchen Fußball spielen und wie sie mit ihren eigenen männlichen Verhaltensweisen schon in jungen Jahren ihren Beitrag dazu leisten, dass das so bleibt? Was ist das für eine Welt, in der schon 8-jährige Mädchen ihre Probleme mit Männlichkeit(en) artikulieren und reflektieren können und gleichzeitig viele erwachsene Typen auch nach zig Hashtags noch kein Problem sehen (wollen) und noch immer keine Notwendigkeit erkennen, mal kritisch über ihre eigene Männlichkeit nachzudenken?


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