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Channel: Geschlechter – JOCHEN KÖNIG
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„Feminist men drown in pussy“ – Teil 2

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2016-07-23 23.13.42
Ich habe mich für einen Online-Kurs angemeldet, in dem es darum geht, ein „echter Mann“ zu werden. Zum ersten Teil geht es hier. Es folgt Teil 2:

„Heute reden alle von Sex, aber keiner hat mehr welchen“, wirft der Männlichkeitscoach ohne jegliche empirische Grundlage in den Raum. Der Coach steht vor einer Gruppe von Männern und behauptet, er habe mit mehr Frauen Sex gehabt, als alle sonst im Raum anwesenden Männer zusammen. Und das sage er natürlich nicht, um anzugeben. Sondern ausschließlich deshalb, weil es eben die Wahrheit sei. Äh klar.

Wahrscheinlich gibt es diese Männer wirklich, die sich davon angesprochen fühlen, die sexuell frustriert sind, verunsichert und die sich tatsächlich bei dem Online-Kurs angemeldet haben, weil sie sich dadurch mehr Erfolg bei Frauen versprechen.

Pseudowissenschaftlich wird erläutert, sexuelle Anziehung beruhe immer auf der Polarität zwischen weiblicher und männlicher Essenz. Diese seien pure Energien, die sich gegenseitig brauchen und zueinander wollen, um ein Ganzes zu bilden. „Die männliche Essenz will Grenzen überschreiten“, erklärt der Coach. Männer seien von Natur aus rebellisch. Das beginne als Kind mit der Auflehnung gegen die eigene Mutter und finde ihren Höhepunkt im Erwachsenenalter beim Thema Sex: „Das Höschen der Frau ist die ultimative Grenze“.

Ich sitze in meinem Büro, höre über meine Kopfhörer den Vortrag des Männlichkeitscoachs und muss mich sehr zurückhalten, nicht alle zwei Minuten laut loszulachen. Am liebsten möchte ich ständig meinen Kollegen am anderen Ende des Schreibtischs beim Arbeiten stören und ihn daran teilhaben lassen: „Weißt du, was er jetzt wieder für einen absurden Quatsch erzählt? Glauben Menschen sowas wirklich?“

Früher sei alles in Ordnung gewesen. Männer waren noch Männer. Und Frauen noch Frauen. Doch dann kam irgendwann dieser Feminismus und plötzlich hat niemand mehr Spaß beim Sex. „Da ist die Saat gesät für alle Probleme mit Frauen“, erläutert der Coach. Früher hätten sie es noch richtig krachen lassen. Jetzt sei aber alles anders. Und überhaupt sei alles ganz ganz schlimm. Besonders in Deutschland. Heute trauen sich Männer nicht einmal mehr Frauen anzusprechen, weil hinter jeder Ecke eine Feministin lauere, die sie „auf offener Straße kastrieren würden“, sobald sie es doch einmal wagen.

Auch die Frauen seien heute nicht glücklicher als ihre Mütter und Großmütter. Woher auch immer, der Männlichkeitscoach das zu wissen glaubt. Jedenfalls ist er sich dessen selbst nicht so ganz sicher, denn er fügt noch als kleine Drohung hinzu, dass sich Männer dann in Zukunft eben Frauen aus anderen Ländern suchen werden, die noch nicht so „verdorben“ sind von diesen feministischen Ideen.

Die Lage erscheint alternativlos. Aus Sicht des Männlichkeitscoachs gibt es nur zwei Möglichkeiten: Rückkehr zu den Geschlechterrollen der 50er Jahre durch die von ihm verordnete „Re-masculation“, Männer müssen wieder echte Männer werden. Ansonsten droht uns allen die ewige Langeweile. Die Vorstellungen sind auf so vielen Ebenen absurd, dass ein Text allein dafür gar nicht ausreicht. Überhaupt funktioniert die Erzählung nur, solange das vermeintliche vor-feministische Idealbild einigermaßen unscharf und vage bleibt. Wünschen sich ernsthaft Menschen den Sex der 50er zurück? Ich finde die Vorstellung einigermaßen gruselig. Guter Sex braucht Phantasie und die Bereitschaft sich aufeinander einzulassen und keine einfache Orientierung an anachronistischen Rollenvorgaben.

Wenn es aus meiner Sicht so etwas wie „männliche Essenz“ tatsächlich gibt, dann ist es, die eigenen individuellen Erfahrungen als allgemeingültig zu interpretieren. Homosexualität wird komplett verdrängt und verschwiegen. Weil ich selbst nicht schwul bin, kann sowas nicht normal sein. Weil ich keine Lust habe, Geschlechtervorstellungen der 50er Jahre zu hinterfragen, muss es sich dabei um eine universelle Geschlechternorm handeln. Weil mir Sex einmal Spaß gemacht hat, als ich „aktiv, aggressiv, fokussiert“ war und die Frau „rezeptiv, passiv und empfangend“, kann das nur die einzige Form sein, in der Sex überhaupt Spaß macht. Weil ich mich nicht traue, eine Frau vor dem Sex explizit um ihre Zustimmung zu fragen, dann will die Frau bestimmt auch nicht gefragt werden.

Es ist schon fast traurig, dass vielen Menschen die Phantasie und der Mut fehlt und sie sich deshalb Sex nur im Kontext starrer Geschlechterrollen vorstellen können. Ich muss bei dem Thema immer an einen Satz denken, den ich bei Jacinta Nandi gelesen habe: „Feminist men drown in pussy.“ Die Lage ist also keineswegs so alternativlos, wie sie dargestellt wird. Es gibt nicht nur die Optionen „echter Mann“ oder „sexuelle Frustration“. Das Gegenteil von Arschloch ist nicht Langeweile. Viele Frauen haben es längst begriffen, dass es für guten Sex mehr braucht als starre Geschlechterrollen, einige Hetero-Männer brauchen für diese Erkenntnis scheinbar noch etwas Zeit.


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